Vortrag in der Reihe „Geschichte ist mehr …” mit Dr. Norbert Fasse
Am 13. September 1917 hielt Stadtverordneten-Vorsteher Jospeh Bierbaum im Stadtrat eine markante Rede gegen die „freche Einmischung“ des amerikanischen Präsidenten Wilson in die angeblich „innerpolitischen deutschen Angelegenheiten”. Unter dem Beifall der Stadtverordneten ruft er: „Hände weg, du falscher Prophet, von unsern häuslichen deutschen Verhältnissen, wir sind selber Manns genug, unser deutsches Haus, das bereits heute schöner und besser ist, als irgend eines auf Gottes weiter Welt, weiter auszubauen, so rufen wir Borkener Stadtvertretung ihm in treuer Gemeinschaft und Uebereinstimmung mit unserm gesamten deutschen Volke zu.”
Von hier aus ging Dr. Fasse zunächst auf die Vorkriegsverhältnisse in Borken ein, wie sie sich in der Borkener Zeitung bzw. im Borkener Wochenblatt spiegelten. Er beschrieb die politische Bedeutung des Kriegervereins mit Blick auf die Vereinsfeste, die öffentlichen Reden und die Kaisergeburtstagsfeiern. Immer noch schwelt die Abneigung gegen die alten „Reichsfeinde”: das „Zentrum” und die katholischen Verbände sowie auf der „Linken” gegen die in den Reichstagswahlen sehr erfolgreiche SPD. Die Berichte und Kommentare der Borkener Zeitung, die sich damals als Borkener Sprachrohr des Zentrums verstand, machten dagegen deutlich, dass auch der Katholizismus bedingungslos kaisertreu war. Selbst die christlichen Gewerkschaften im Kreis Borken
Die Phase der Mobilmachung muss durchaus ambivalent gesehen werden: Zwar gab es vor allem beim Kriegerverein und seinem Vorsitzenden Apotheker Max Brinkman eine unbedingt kaisertreue, also kriegsbereite Haltung, aber auch „tiefen Ernst” in der Bevölkerung, also keinen allgemeinen Jubel über den Kriegsausbruch. Geradezu zurückhaltend titelte die Borkener Zeitung am 4. August 1914: „Der Weltkrieg ist da!”. Und der Redakteur Jäger schrieb noch am 1. August unter dem ironisch klingenden Pseudonym Ernst Heiter einen optimistischen Kommentar „In Kriegsgefahr!”: Vielleicht bleibe es ja bei einem lokalen Krieg und Europa bleibe verschont …
Die folgenden Kriegsjahre brachten zahlreiche Veränderung in der Stadt: die Einquartierung berittener Truppen, die Angliederung eines Lazaretts am Marien-Krankenhaus, das „Kriegsbrot”, den „Steckrüben-Winter” 1916/17. Anfang 1917 erklärte Deutschland den USA den Krieg. Deren Präsident Woodrow Wilson bemühte sich jetzt (erst) intensiv um den Frieden, auch beim Papst. Gleichwohl gab es keine Einigung über die Frage nach dem Verständigungsfrieden, statt dessen die scharfe deutsche Ablehnung, wie sie sich in den Worten Bierbaums äußert. Man war nur an einem „Siegfrieden” interessiert.
Mit der Parlamentarisierung des Deutschen Reiches, der Kapitulation der Regierung – nicht der Kriegsherren – und der Abdankung des Kaisers war der Weg in den Frieden möglich: das Traumland des Waffenstillstands.
Dr. Fasse führt dem Publikum an zahlreichen Beispielen, vor allem aus der Borkener Zeitung, die äußeren wie auch inneren, also mentalen Veränderungen vor Augen. So entstand ein sehr differenziertes Puzzle aus verschiedenen Perspektiven und es wurde klar, dass es die Haltung in Borken nicht gegeben hat, dass aber vieles durch die politische Erziehung im Kaiserreich – auch bei der weit überwiegend katholischen Bevölkerung (und ihrer Geistlichkeit) unkritisch gesehen wurde. Nicht in Frage zu stellen sei aber die selbstlose Solidarität und die Opferbereitschaft aus Idealismus in dieser Bevölkerung. BF
Abdruck der Rede Joseph Bierbaums in der Borkener Zeitung vom 15.9.1917