Mit der Verleihung der Stadtrechte (spätestens) im Jahr 1226 erhielt Borken u.a. das Recht zur kommunalen Selbstverwaltung, deren äußeres Zeichen gut 150 Jahre später ein Rathaus wurde. Wie allgemein üblich, errichtete man es am Marktplatz.
Das älteste Zeugnis für die Existenz dieses Rathauses stammt aus dem Jahr 1384. Es galt einem schlichten Fachwerkbau, der als südlicher Anbau noch lange erhalten blieb, als rund 100 Jahre später ein repräsentativeres Gebäude, das „historisches Rathaus“, entstand. An dessen nördlicher Giebelseite errichtete man das städtische Weinhaus, gleichsam als architektonisches Gegenstück zum älteren Rathaus an der Südseite.
Die drei Gebäude bildeten einen zusammenhängenden Riegel, der den Marktplatz Jahrhunderte hindurch von Kirche und umliegendem Friedhof trennte. Ob die Trennung und die damit verbundene Zuwendung der Rathaus-Rückseite zur Kirche hin Zufall war oder bewusst geschah – sei es, um das profane Treiben auf dem Marktplatz von der Ruhe des Friedhofs und des Kirchenraumes zu trennen oder ein kommunales Selbstbewusstsein gegenüber um der Kirche auszudrücken – ist nicht überliefert.
Der Riegel hatte bis zum Abriss der südlichen und nördlichen Anbauten (erstes Rathaus 1816/17 bzw. städt. Weinhaus 1903) eine beachtliche Ausdehnung, selbst noch um die Mitte des 19. Jh., als das „historische Rathaus“ nach Süden hin um eine fünfte Achse erweitert wurde. Zu den Häusern im Norden hatte der Abstand lediglich Straßenbreite, wie ein altes Foto belegt, und im Süden war nach der Chronik des Rektors Johann Starting lange Zeit nur ein Fußweg zum Kirchhof hin offen.
Der zweigeschossige Backsteinbau mit Treppengiebeln, dessen vier Arkadenbögen sich zum damaligen Marktplatz hin öffneten, war Mittelpunkt des städtischen Lebens.
Nach der Schaffung des Landkreises Borken (1816) erwies sich das Gebäude als zu klein, als es Verwaltungssitz des Landrats und in der Folgezeit auch Sitz des Königlichen Stadt- und Landgerichts (1824) sowie des Kreisgerichts (1849) wurde. Rathaus im eigentlichen Sinne war es dann nicht mehr, da die Stadtverwaltung in andere Räumlichkeiten umzog. Umfangreiche Erweiterungs- und Umbaumaßnahmen (1850) verliehen dem ursprünglich gotischen Gebäude ein klassizistisches Aussehen.
Nach der Fertigstellung eines eigenen Amtsgerichts (1902) stand das Rathaus leer. Ergebnislose Diskussionen über seine weitere Verwendung führten im Juli 1910 über Nacht zur mutwilligen Zerstörung, so dass am Ende nur die völlige Einebnung und eine Neugestaltung des frei gewordenen Platzes übrigblieb, zu der man sich nach erneut endlos erscheinenden Diskussionen entschlossen hatte.
Die Neugestaltung veränderte Borkens Marktplatzsituation entscheidend. Am 13. September hieß es dazu im Borkener Wochenblatt: „Unser Rathausfrage scheint sich endlich abzuschließen. Die noch stehenden Trümmer, die nach dem Zerstören der vorderen Halle keinen Wert mehr haben, sollen fallen. Ein Neubau an derselben Stelle ist nicht geplant. Die Kirche soll dem vernehmen nach den Abschluß des Marktplatzes bilden. Durch den Anbau einer zweiten Kapelle wird die Kirche symmetrisch gestaltet werden. Die beiden Kapellen sollen, wie verlautet durch eine Glashalle verbunden werden, die den Weg zu den Turmtüren überdacht …“
Doch weder die zweite Turmkapelle noch das Glasdach wurden realisiert, und ein letzter Vorstoß der Regierung in Münster, die Rathaus- und damit auch die Marktplatzfrage noch anders zu lösen, indem man mit dem Ankauf von Häusern und Überbauung der Kapuzinergasse sowie unter Verwendung der denkmalswerten Teile des alten Rathauses an der Südseite des Marktplatzes das dort bereits bestehende Bürgermeisteramt erweiterte, blieb ohne Wirkung. Am Ende kam man zu der Lösung, dass für Borken nur eine Neugestaltung des eingeebneten Platzes in Frage komme.
Ein gutes Jahr später, am 21. September 1911, beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Neugestaltung des Marktplatzes. Dafür wurde bei der städtischen Sparkasse ein Darlehen von 16.000 Mark aufgenommen, wovon 4.000 Mark als Rücklage für ein neues Rathaus dienen sollten. Dazu sollte es aber nicht kommen.
Nachdem man die Trümmer des niedergerissenen Rathauses beseitigt, die freie Fläche in den schon bestehenden Marktplatz einbezogen und die Umgestaltung abgeschlossen hatte, war der Blick auf das Turmportal der Remigiuskirche frei.
Die Arbeiten wurden zügig in Angriff genommen, zwischen Marktplatz und Kirchplatz wurde eine halbhohe Mauer errichtet, die Kirchplatz und Mühlenstraße trennte. Am 21. Dezember 1911 schwärmte das Borkener Wochenblatt über die Neugestaltung der leeren Fläche: „Eine schöne Zierde werden noch vor Weihnachten die beiden, den Hauptaufgang zum Kirchplatz flankierenden Säulen in Gestalt zweier monumentaler Laternen als Krönung erhalten. Jede Laterne ist zur Aufnahme dreier Gasflammen bestimmt, die an den Weihnachtstagen zum ersten Male das schöne Mosaikpflaster des Kirchplatzes beleuchten werden. Die ganze fertige Anlage mit Springbrunnen, grünendem Rasen und Bäumen etc. wird uns ein neues Stadtbild schaffen, worum uns selbst Städte mit zehnfacher Einwohnerzahl beneiden werden.“
Und im Jahresrückblick 1911 hieß es dann wenige Tage später: „Der Marktplatz, der nach dem Abbruch des alten Rathauses wüst dalag, ist schneller als wir dachten, verschönert worden, neue Bäume sind gepflanzt, neue Mauern gezogen, die Marktpumpe ist verschwunden, das Kriegerdenkmal ist still in die südliche Ecke … geschoben (worden).“
Rudolf Koormann, Heimatverein Borken e.V.
Das „historische Rathaus“ während des Mittelalters; Rekonstruktionszeichnung von Wilhelm Rave aus dem Jahr 1953 (verkleinerte Abb. aus Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Münster 1954, S. 185).
In der Diskussion um das Schicksal des „historischen Rathauses „zu Beginn des 19. Jh. entstand eine Rekonstruktionszeichnung des Stadtbaumeisters Perl, die den Zustand des Gebäudes um 1850 zeigt. (Abb. aus: Stephan Selhorst, Unter der Rathauslaube, Borken 1953).
Um 1900 bildete das in klassizistischem Stil umgebaute Rathaus (oben im Bild) die eine Seite eines idyllischen Markt-Vierecks, an dessen Ecken insgesamt acht Straßen einmündeten. Mit Hilfe alter Fotos lassen sich die vier Seiten des Platzes bildlich rekonstruieren Abb.: verkleinerte Wiedergabe einer Postkarte aus der Sammlung von Ewald Grewing).
Marktgeschehen vor der Gebäudereihe, der den Marktplatz nach Westen hin gegen die dichte Bebauung im heutigen Marktbereich abgrenzte. Der Standort der drei Gebäude ist fast identisch dem des Riegels Hollstegge-Bossmann- Bonita. (Abb.: verkleinerte Wiedergabe einer Postkarte aus der Sammlung von Ewald Grewing).
Oben im Bild, an der Stelle des ehemaligen Rathauses, der neue Brunnen mit der Figur des Hendrik de Wynen (Abb: verkleinerte Wiedergabe einer Postkarte aus der Sammlung von Ewald Grewing).