Mein erstes Zeltlager auf Ameland
Heinz Eming erinnert sich an die 1950er Jahre
Heinz Eming erinnert sich an die 1950er Jahre
Immer wenn ich nach dem Tanken zur Kasse gehe, komme ich am Süßwarenregal vorbei und sehe Nuts. Dann läuft mir das Wasser im Mund zusammen und ich denke an die Zeltlager, die ich in den 1950er Jahren auf Ameland mitgemacht habe. In Holland gab es nämlich schon Nuts, in Deutschland noch nicht. Nuts: ein Schokoriegel, gefüllt mit ganzen Haselnüssen, Karamellcreme und umhüllt mit feiner Milchschokolade.
Ihr fragt mich mit Recht: „Und außer etwas stärker herausgehoben Nuts sonst nix?“ – Na gut, wenn euch das interessiert, erzähl ich mal. Die Fahrt nach Ameland war schon ein Abenteuer. Die Fahrt dauerte sehr lange, weil es noch keine Schnellstraßen, Ortsumgehungen und Autobahnen auf dem Weg nach Ameland gab. Es ging durch jeden Ort. Ich kann sie alle noch einzeln aufzählen, dauert aber zu lange. Hermann Nielkens Bus machte zwischendurch schlapp. Die Gänge flogen immer raus. Das Problem wurde dadurch gelöst, daß einer von uns während der Fahrt das Zeltgestänge von der Gangschaltung festhalten musste.
Als wir in Holwerd am Anleger ankamen, war ich ganz gespannt, wie denn das große Meer aussehen würde. Was ich sah, enttäuschte mich: keine Dünen, kein Strand, keine Wellen, nur Schlamm, Wattenmeer. Die Fähre rutschte mühsam auf dem Schlick durch die Fahrrinne des sich langsam füllenden Wattenmeeres Richtung Insel.
Das Lager lag zwischen den Dünen auf der Wiese eines Bauern in Buren. Es waren auch noch andere Jugendlager in der Nähe. Nachdem die Zelte zugeteilt waren, richteten wir uns häuslich in unserem Rundzelt ein. Wir hatten zwei Decken dabei. Eine wurde auf das nicht mehr frische Stroh gelegt. Man hatte nur wenig frisches Stroh auf das alte Stroh verteilt. Wir waren nämlich die zweite „Belegschaft“. Die andere Decke war zum Zudecken bestimmt. Als Kopfkissen diente der Campingbeutel, Rucksack oder „Affen“. Luftmatratzen waren verpönt, Wer eine dabei hatte, musste entweder die ganze Nacht pusten oder auf einer luftleeren Matratze schlafen. Angeber mit großen Stabtaschenlampen wunderten sich, dass diese nicht funktionierten. Sie merkten nicht sofort, dass die Kontakte mit unsichtbarem Uhu-Kleber isoliert waren. Wer mit einem Koffer kam, der machte ein Rennen mit, der brauchte ja zu viel Platz im Zelt. Ein „Koffermann“ war mit ins Lager gekommen, der war aber schnell wieder verschwunden.
Vor dem Frühstück waschen und Zähne putzen mit freiem Oberkörper an der Pumpe. Das war ja wohl klar, dass wir uns gegenseitig nass spritzten. Selbstverständlich wurde vorm Frühstück gebetet oder die heilige Messe im Messzelt besucht. Zu den anderen Mahlzeiten wurde auch gebetet.
Nach dem Frühstück, bestehend aus Käsekniften und Marmeladestullen, ging es endlich durch die Dünen an den Strand. Vor dem Strand lag eine hohe Düne. Oben auf der Düne sah ich zum erstenmal das Meer. So weit man schauen konnte: Wasser, Wasser, Wasser. Dann runter an den Strand, Sandalen aus, Socken aus, bis an die Knie ins Wasser, Welle kam, Hose nass, macht nichts, trocknet wieder, Muscheln suchen.
Dann ging‘s zurück zum Mittagessen. Der Hunger trieb die Suppe hinein. Eine Suppe aus Kappesblättern, Kartoffeln, Knochenbrühe mit einigen Fleischfasern und Fettaugen oben drauf. Der Anteil der Fettaugen und Fleischfasern verringerte sich im Laufe unseres Aufenthaltes auf Ameland. Der Genuss der Kohlsuppe und der Verzehr der Kniften mit amerikanischem Büchsenkäse verursachte Gewittergeräusche in den Zelten und schwefelgelbe Nebel über den Zelten. Vielen Borkenern ist noch die Küchenfee Mariechen Brune bekannt, die viele Jahre als Lagerköchin mit nach Ameland fuhr. Mir hat sie mal beim Kartoffelschälen gesagt: „Heinz Eming, du schälst die Kartoffeln zu dick, du schreibst besser einen Aufsatz über das Lager!“ Mariechen gehört durch ihre Ameländer Tätigkeit zu den bekanntesten Persönlichkeiten von Borken.
Ob die Donnergeräusche und der schwefelgelbe Nebel der Anlass war, dass es in einer Nacht erbärmlich regnete und stürmte, könnte vermutet werden. Jedenfalls brachen mehrere Rundzelte zusammen, unter anderem das, in dem ich schlief. Wir haben aber von der Katastrophe nichts gemerkt, wir haben sie einfach verpennt.
Am folgenden Morgen wurde die Zeltplane an der Spitze verknotet und das Zelt mit dem Masten wieder aufgerichtet. Für Regentage hatte man Bücher aus der Remigius-Bücherei mitgebracht.
Wir besorgten uns einen Medizinball, jawohl einen Medizinball. Wir hatten uns folgendes Spiel ausgedacht. Es wird liegend gespielt. Wir bewerfen uns gegenseitig mit dem Medizinball. Wer den Medizinball schnappt, darf weiterwerfen. Wer den Medizinball vor den Kopf kriegt, darf sich umdrehen und muss geschont werden. Wer k.o. geht, fällt aus. Wer überbleibt, hat gewonnen. Ich habe mich vorsichtshalber schnell k.o. werfen lassen. Durch das Werfen gegen die Zeltplane wurde das Zelt undicht. Und es regnete nicht nur draußen, sondern auch drinnen. Das Zelt unseres begleitenden Kanonikus stand am anderen Morgen total unter Wasser. Er nahm sich daraufhin ein Zimmer in Nes.
Wir hatten aber auch schönes Wetter, dann gingen wir schwimmen, aber nur unter Aufsicht. Es wurde Fußball und Völkerball gespielt. Ein Fußballturnier gegen das Lager Essen haben wir verloren. Ansonsten machten wir uns gern dünne und gingen in die Dünen. Wo die Dünen einen Durchgang zum Strand hatten, war ein Pavillon. Dort kauften wir ein: Nuts, Faam-Pfefferminz, Limonade, Luciferkes (Streichhölzer) und Zigaretten. Damit gingen wir in die Dünen und genossen unsere Freiheit.
Vom Lager bis nach Nes waren es ungefähr vier Kilometer. Wir gingen am Meer entlang hin und durch Wäldchen und Dünen zurück oder umgekehrt. Auf Ameland war auch das Bramgaulager. Da waren Borkener Mädchen drin. Die kamen uns dann mal im großen Pulk in Nes entgegen. Die kicherten immer so, wenn sie uns sahen. Wir machten auch nicht wegen der Borkener Mädchen den weiten Weg nach Nes, sondern wegen „De Jong“, der hatte ein leckeres Eis in Töpfchen mit einer dünnen Salzschicht drauf.
Mit das Schönste war, wenn abends am Lagerfeuer gesungen wurde. Das ging von „Jung Volker, das war unser Räuberhauptmann“, „Schwer mit den Schätzen“ über „Zu Regensburg auf der Kirchturmspitz“ bis „Wildgänse rauschen durch die Nacht“. Im Nachbarlager aus Essen war ein junger Geistlicher aus Spanien dabei. Der kam schon mal zu uns rüber und spielte auf seiner spanischen Gitarre und sang dazu „Granada“. Und wenn dann der Leuchtturm seinen Strahl über die Insel und über das Lager wandern ließ und ich aus meinem Brotbeutel ein Nuts hervorkramte und dieses mit meinen sieben Zeltkameraden teilte, kam echte Lagerromantik auf.
Wer damals dabei war, der wird wohl noch einiges mehr von den Jugendlagern in dieser Zeit erzählen können…
Ameland-Lager gibt es immer noch, aber so rustikal, wie es damals war, ist es heute wohl nicht mehr. Trifft man jemanden aus der damaligen Zeit und das Thema Ameland kommt auf, fällt zwischendurch immer wieder der eine Satz: Weißt du noch, damals, damals auf Ameland?
(2021)
Aus früheren Zeiten erzählt hier ein alter Borkener, der sich gern an schöne Sommertage auf Ameland erinnert und an den beliebten Kanonikus Perdekamp (1954-1958).
Der Leuchtturm von Ameland hoch oben auf den Dünen im Westen der Insel. Der Leuchtturm ist heute ein Museum.
Borkener Jungs in einem der ersten Lager in den 1950er Jahren. Der eine oder andere wird die Gruppe wiedererkennen. Eine Nachricht an den Heimatverein wäre schön.
In den frühen Jahren waren noch große Gruppenzelte üblich.
Klare Sache: Wer essen wollte, musste bei den Vorbereitungen helfen, zum Beispiel beim Kartoffelschälen.
In frischer Luft wurde alle schnell hungrig.
Fotos: Sammlung des St. Remigius Amelandlagers