Wenige Tage vor der Maifeier 1898 beschäftigte sich die Borkener Zeitung mit den Gewohnheiten der Kinder vor der Feier:
Borken, 25. April. Noch hemmt rauher Nordwind das Wiedererwachen der Natur, aber in den Kinderherzen beginnt der Frühling bereits seinen Einzug zu halten. Wiederum rüstet sich die Borkener Jugend zu seinem Empfange, und Groß und Klein plaudert von der bevorstehenden Maifeier. Seit Wochen ist das Wort „Tremse“ in aller Munde und eifrig wird des Abends in den Freistunden an der Herstellung und Ausschmückung derselben gearbeitet. In erwartungsvoller Manier sehen die Kleinsten dem bevorstehenden Kunstwerke zu, sie können den Tag kaum abwarten, an dem sie unter der Tremse sitzen und schmausen dürfen.
Manche Mutter, mancher Vater [ge]denkt bei dem geschäftigen Treiben der Tremsenfreuden der eigenen Kindheit, der schönen Abende beim Maibaume, der lieben alten Lieder und Spiele. Mit ihnen freut sich wohl Jeder, der noch Verständniß für die leider immer mehr verschwindenden Bräuche einer früheren Zeit hat, daß unsere Borkener Kinder noch an ihrer Tremse festhalten, und gern trägt Jeder durch eine kleine Gabe zur Erhaltung der alten Sitte bei.
Leider hat sich aber bei der schönen Feier ein Mißbrauch eingestellt, der schon lange peinlich berührt und auch in diesem Jahre wieder einen unangenehmen Eindruck macht. Nur die Annahme, daß es ohne Wissen der Eltern geschieht, macht die Thatsache erklärlich, daß in den Wochen vor dem 1. Mai täglich Kinder, selbst aus den wohlhabenden Familien, Haus für Haus für die Tremse sammeln und zwar auch in Häusern, wo es nicht möglich ist, die Wünsche so vieler zu befriedigen (an Sonntagen und den freien Nachmittagen kommt es ja leicht zu 1 Dutzend und mehr Sammlern aus den verschiedenen Straßen).
Da kann es gewiß nicht Wunder nehmen, daß vielfach Befremden und Unwille entsteht, der nur zu gerechtfertigt ist. Wie leicht könnte hier Abhülfe geschaffen werden, wenn die wohlhabenderen Eltern ihren Kindern selbst so viel Tremsenzuschuß geben wollten, daß das Fehlende zur Bewirthung Aller beschafft werden könnte. Auf diese Weise wäre der oben gerügte kleine Mißbrauch sofort gehoben, und Jeder würde die alten Borkener Tremsenfeier gern erhalten sehen als sinnreiches Frühlingsfest unserer lieben Jugend.
Borkener Wochenblatt, 27.4.1898
Borkener Wochenblatt, 4.5.1898