Ein mittelalterliches Femegericht in Erle
Dem Heiligen Römischen Reiche ist eine große Missetat, Schmach und Hohn angetan worden. Sie zu sühnen war Aufgabe von Mitgliedern des Heimatvereins Borken. Rund 20 von ihnen bildeten deshalb am Samstag, 20. Mai ein Femegericht und begaben sich dafür auf eine Zeitreise in das Mittelalter. „Gott zum Gruße, Volk von Borken und aus angrenzenden Gemarkungen“, begrüßte sie Freigraf Walter an der alten Thing- und Gerichtsstätte zum „vryen Stoel tum Aßenkampe by Erle“.
Vor der über tausendjährigen Femeiche war alles für eine historische Femegerichts-Verhandlung aufgebaut. Halsgeige, Schwert und Galgenstrick als Zeichen der Macht des Freigrafen, Stricke zum Fesseln und Hängen und andere mittelalterliche Relikte flößen auch heute noch Respekt ein.
Mit „Borksken Wind“ tranken sich deshalb die noch in der Jetztzeit verhafteten Mitglieder des Heimatvereins Mut an für das Eintauchen in eine mittelalterliche Szenerie im Jahr 1441, denn alle bekamen neue Namen und damit neue Identitäten als Büttel, Henker, Angeklagte, Kläger und Schöffen. Filzhüte, Halstücher, Pelzkragen und Peitschen halfen, sich in die neue Rolle hineinzufinden.
Freigraf Walter, in der Jetztzeit als Walter Großewilde zertifizierter Natur- und Landschaftsführer im Naturpark Hohe Mark Westmünsterland, informierte gemeinsam mit dem Schultheiß Uschi vom Westerhussee zu Beginn über die Femegerichtsbarkeit, die es im 14. und 15. Jahrhundert nur in Westfalen gab.
Gerichtet wurde nach dem Gesetzbuch „Sachsenspiegel“ im Namen des Kaisers und des Papstes. Alle 18 Wochen fanden Femegerichte statt, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Verbrechen wie Raub, schwerer Diebstahl, Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung oder Meineid wurden vor dem Femegericht verhandelt und sofort bestraft. Der Richter verhängte Körperstrafen und oft auch die Todesstrafe durch Erhängen.
Freigraf Walter zeigte sich bei dieser Gelegenheit ganz flexibel: Nach dem Sachsenspiegel durften nur freie Männer Recht sprechen, da aber überwiegend Frauen zum Femegericht gekommen waren, verlegte er die Gleichberechtigung kurz entschlossen ins Mittelalter.
Am Abend des ersten Gerichtstages gab es immer ein Gelage für alle Beteiligten. Am Samstag bestand es aus delikaten Brötchen und dem Femetrunk. Das Gelage sollte Kraft geben für die schweren Entscheidungen, die am zweiten und dritten Tag zu treffen waren. Zwei Männer waren wegen schweren Viehraubes angeklagt. Genügend Zeugen bekundeten, gesehen zu haben, wie die beiden Angeklagten das Rind eines ehrbaren Bürgers gestohlen hatten. Sie wurden ergriffen, gefesselt, mit der Halsgeige an den Pranger gestellt. Hier konnten ihre Angehörigen sie noch drei Tage sehen, ihnen Nahrung bringen und Abschied nehmen. Dann brach der Freigraf den Stab über sie und es drohte die Todesstrafe, aber vielleicht fanden sich auch 50 Goldmünzen in ihren Beuteln, die vorsorglich abgeschnitten worden waren, dann konnten sie sich freikaufen. Oder Ritter Johann von Raesfeld hatte Erbarmen und erklärte sie „nur“ für „vogelfrei“.
„Gut, dass diese Zeiten vorbei sind“, meinten die Teilnehmer und waren doch froh, im 21. Jahrhundert zu leben. Worte wie Galgenstrick, Beutelschneider, Halsabschneider, den Stab brechen, Acht und Bann werden sie jetzt mit mehr Bedacht benutzen. Auch dass „Westphalen“ fremde Leute sind, war vielen noch nicht bekannt.
Am Ende bekamen alle eine Urkunde, die ihnen bescheinigte, ihre Rolle in der Femegerichts-Verhandlung nach Recht und Gesetz erfüllt zu haben.
A. Berg
Freigraf Walter und sein schreckliches Werkzeug.
Das Gericht schwört auf das Schwert, nach dem Recht zu urteilen.
Über den angeklagten Viehdieb wird der Stab gebrochen. Der zweite wartet auf sein Urteil …
Freigraf Walter belehrt die Gerichtsversammlung.
Schadenfreude? Die Gefangenen warten mit ihrer „Halsgeige”.
Am Schandpfahl. Jedoch: Dem Vernehmen nach sind die Delinquenten wieder in Borken gesehen worden …
Fotos: Heimatverein