Erinnerung an das Kloster Marienbrink
Mit der Säkularisation 1803 endete eine 400-jährige Klostergeschichte
Mit der Säkularisation 1803 endete eine 400-jährige Klostergeschichte
An Romeo und Julia mag denken, wer die „Sage von der Kattenborg“ liest oder hört. Sie beginnt – wie bei Shakespeare – mit Liebe und endet tragisch, eben sagenhaft tragisch: Da verliebt sich ein Bürgersohn in ein adeliges Fräulein. Beider Eltern begegnen der „drohenden“ Heirat ihrer Kinder mit einer damals durchaus üblichen Maßnahme: Man steckt sie in ein Kloster. Getrennt, versteht sich. Doch das tut ihrer Liebe keinen Abbruch. In stürmischen Nächten verlässt der unfreiwillig Eingesperrte seine Klosterzelle in Burlo, um sich auf den Weg nach Borken (12 km!) zu machen.
Sobald seine Geliebte ihn unter ihrem Fenster im Kloster Marienbrink bemerkt, flieht auch sie aus ihrer Zelle. Lange kann ihr Zusammensein nicht dauern, denn ehe der Morgen graut, eilen beide in ihr Gefängnis zurück.
Die ständige Übertretung der Klosterregeln bleibt nicht verborgen. Zur Strafe wird das Paar in Katzen verwandelt. In dieser Gestalt treiben sie fortan in stürmischen Nächten rund um das Kloster ihr Unwesen, weshalb man einer schmalen Gasse in der Nachbarschaft später den Namen „Kattenborg“ gibt.
Und in der Nacht zum 28. August, dem Tag des hl. Augustinus, zieht seitdem um den Standort des Klosters eine Schar weiß gekleideter Nonnen, die Gebete für die Erlösung der Unglücklichen murmeln.
So weit die Sage! Welchen historischen Hintergrund sie hat, lässt sich kaum noch erklären. Spricht der Volksmund Recht über eine unerhörte Tat und warnt damit vor Nachahmung? Oder wollen Generationen vor uns einen Straßennamen erklären und beziehen – um die Glaubwürdigkeit ihrer Erklärung zu unterstützen – das Kloster Marienbrink mit ein? Vielleicht einen Vorfall aus dem Jahr 1634, als das Verhältnis einer „suster“, d.h. Klosterbewohnerin, mit dem Pater Rektor aufgedeckt wird und Konsequenzen hat?
Damit wären wir auch schon mitten in der Geschichte Marienbrinks. Sie beginnt um 1400 auf einer leichten Anhöhe im Nordwesten der Stadt, dem „Brink“. Dort entsteht dank der großzügigen Spenden gottesfürchtiger Bürger ein Schwesternkonvent, quasi als weiblicher Gegenpol zur Johanniter-Commende, die seit dem 13. Jahrhundert im Südosten der noch jungen Stadt existiert.
Die ersten Bewohnerinnen sind bereits in Borken lebende Beginen, fromme Frauen, die sich zu Gebet und Caritas verpflichtet haben. Ihr Zusammenleben wird beeinflusst von einer religiösen Bewegung aus den östlichen Niederlanden, die sich gegen den Verfall des kirchlichen Lebens richtet und dessen Erneuerung anstrebt.
Der Borkener Konvent ist der erste, der im Zuge dieser als „devotio moderna“ bezeichneten Bewegung überhaupt auf fürstbischöflich-münsterischem Territorium gegründet wird. Auch nachdem die Beginen 1476 die Augustinerregel annehmen, bleibt ihr Name im Sprachgebrauch der Leute erhalten: Beginenturm heißt im Volksmund einer der ehemals acht Stadttürme, der westlich des Klosters steht.
Zur Vergrößerung des Klosters und seines Besitzes trägt die enge Verbindung zu begüterten und adeligen Familien bei, aus denen die Schwestern vorwiegend stammen. Wer sonst könnte die Mitgift aus Kleidung, Bettwäsche, Möbeln, Hausrat und Bargeld aufbringen? Immer wieder ist von den Schenkungen an die „beschederen megeden, den süstern und beginnen in der beginnen hus to Borcken“ die Rede, weiß das Stadtarchiv zu berichten.
Mittelpunkt des täglichen Lebens sind der Gottesdienst, geistliche Lesungen und Gebete, die nicht in Lateinisch, sondern in Niederdeutsch, der Alltagssprache jener Zeit, gesprochen werden. Darüber hinaus hat jede Schwester ihre Arbeit, die ihr die „moder“ als Vorsteherin der Gemeinschaft zuteilt. Die wirtschaftliche Grundlage des Hauses bilden Ländereien und Höfe in der Umgebung von Borken mit den anfallenden Geldrenten, Pacht- und Weidegeldern, Ernteerträgen sowie die Verkaufserlöse für Zwirn und Leinen. Über die Geschäfte wacht ebenfalls die „moder“, unterstützt vom Pater Rektor.
Von Zeit zu Zeit führt ein „Commissarius“ aus dem Kloster Frenswegen bei Nordhorn Visitationen durch, um die Lebensführung der Schwestern und die Finanzen des Klosters zu überprüfen. Protokolle über solche Visitationen halten das Auf und Ab von Marienbrink fest. Besonders die Plünderung durch die Spanier, die im Rahmen des spanisch-niederländischen Krieges 1589 die Landesgrenze überschreiten, bringt das Kloster in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die hessische Besatzung von 1634-1650 dagegen übersteht es nahezu ungeschoren, nachdem die Offiziere im Refektorium gespeist und die „süsteren“ zu deren Kurzweil musiziert haben.
1706 werden der schlechte Zustand der Gebäude, die zunehmende Verweltlichung des Klosterlebens und die Zwistigkeiten zwischen den Schwestern bemängelt. Deren Zahl nimmt danach bis zum ausgehenden 18. Jh. rapide ab: Gegenüber 23 Nonnen im Jahr 1590 sind es 1706 noch 15 und 1795 lediglich sieben.
Mit dem Ende des Fürstbistums Münster während der Säkularisation kommt das Aus für Marienbrink. Im Juli 1803 wird es aufgelöst und enteignet; Ländereien und eigenhörige Höfe gehen in das Eigentum des Fürsten Salm-Salm auf Schloss Anholt über.
Sämtliches Inventar, so vermerkt ein Chronist damals, wird meist bietend verkauft, wodurch das Chorgestühl und ein Altar in die Klein-Rekener Kirche kommen und der Hochaltar, die Bänken sowie die Orgel ins niederländische Aalten.
Auch der Auszug der Nonnen wird schriftlich festgehalten: „Am 22. (Juli) dito 12 Uhr nachts war der Unglücklichen Nacht, daß alle Nonnen ihr Kloster verlassen mußten. Ihre jährlichen Einkünfte waren 140 Gulden, und das, was sie mit ins Kloster gebracht hatten, konnten sie wieder mitnehmen.“
Weil der Auszug wohl etwas delikat vor sich geht, schreibt der Chronist im letzten Satz jedes Wort rückwärts auf: „Nenon negnig neffoseb ni niew reh sua“ (Nonnen gingen besoffen in Wein heraus).
Die Gebäude werden schon bald abgerissen oder überbaut. Lediglich Flurnamen wie „Nonnenbusch“ und „Nonnenfettweide“ außerhalb der Stadt bleiben von einer 400-jährigen Klostergeschichte übrig. Der Straßenname „Am Nonnenplatz“ ist mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg im Straßenverzeichnis Borkens verloren gegangen. Die „Kattenborg“, eine schmale Verbindung zwischen Turm- und Brinkstraße, übrigens auch. Ihr Name, den die erwähnte Sage auf ihre Art zu erklären suchte, könnte nach Meinung von Karl Pöpping eine frühe Fluchtburg aus Pfählen oder Palisaden (=„Katten“) bezeichnet haben.
Rudolf Koormann, Heimatverein Borken e.V. (2003)
Historische Ansicht des Klosters Marienbrink aus der Von und zur Mühlen’schen Bibliothek, Haus Ruhr (Senden-Bösensell), Nachlass Nünning Nr. 1265, LWL-Archivamt für Westfalen in Münster.
Schriftliches Versprechen der Maria Agatha Wennigers, sich an Klosterregeln und Statuten zu halten (Quelle: Fürstlich Salm-Salm’sches Archiv Anholt). Maria Agatha Wennigers lebte als Augustinernonne im Kloster Marienbrink.
Torbogen und Torhaus blieben vom Kloster Marienbrink bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erhalten (Foto: Stadtarchiv Borken).
Literatur:
Eckelt, Herbert: Das Kloster Marienbrink zu Borken, in: Heimatkalender 1952, S. 45ff.
Eckelt, Herbert: Ein alter Straßenname in Borken, in: Heimatkalender 1952, S. 244.
Eckelt, Herbert: Die Beginen zu Borken, in: Heimatkalender 1954, S. 579.
Hengst, Karl (Hrsg.): Westfälisches Klosterbuch, Teil 1, Münster 1992, S. 125ff.
Huvers, Edmund: Das Kloster Marienbrink und die „Devotio moderna“, in: Jahrbuch des Kreises Borken, 1985, S. 59f.
Wehling, Franz: Die Beginen zu Borken, in: Heimatkalender 1951, S. 32ff.