Vom Clemens-Kühlken bis zur Flussbadeanstalt im Maibach
Im späten 19. Jahrhundert begannen auch die Borkener, „baden zu gehen“, aus gesundheitlichen und hygienischen Gründen, wie es damals mehr und mehr propagiert wurde, aber auch zur Erfrischung oder aus reiner Freude an der Bewegung im Wasser. In Ermangelung einer öffentlichen Badeanstalt musste das Baden aber „wild“, d.h. in der offenen Aa stattfinden, was dem Empfinden sittenstrenger Bürger widerstrebte.
Schon 1882 hatte es einen Versuch gegeben, eine privat finanzierte Badeanstalt zu betreiben. Sie lag in einem Aa-Bogen am Piepershagen und wurde allgemein „Clemens-Kühlken“ genannt. Trotz oder gerade wegen niedriger Preise jedoch (Einzelnutzung 25 Pf) gerieten die Betreiber – laut Borkener Wochenblatt ein „Konsortium weitblickender Bürger der Stadt, die es an Hinweisen und Aufrufen nicht fehlen lassen und sich so für die Allgemeinheit recht verdient gemacht haben“ – in eine finanzielle Schieflage, für die nicht zuletzt auch die Badegäste verantwortlich waren:
„Die Badeanstalt … wird viel benutzt, leider auch, besonders auch, wenn kein Wärter anwesend ist, von Zaungästen, d.h. solchen, die nicht bezahlt haben. Auch werden die Abonnementskarten mehrfach an andere ausgeliehen. Zudem kommt im Badehause ansonsten noch allerlei Allotria vor.“ Die Folge war, dass jenes „Konsortium“ die Anlage zum Abbruch verkaufen musste, nachdem die Stadt es abgelehnt hatte, sie als „Geschenk“ zu übernehmen.
Danach brauchte es mehr als zehn Jahre, bis das Gelände zwischen Aa und Sengelgraben als Standort für eine Badeanstalt ins Blickfeld kam, nachdem noch 1890 der Beschluss einer Stadtverordnetenversammlung gelautet hatte: „Die Errichtung einer Badeanstalt auf Kosten der Stadt wurde, weil kein Bedürfnis hierzu vorhanden sei, abgelehnt.“
Ein langer Leserbrief brachte im Juli 1896 das „ungestillte Bedürfnis nach einer zweckmäßigen Badeanstalt“ zum Ausdruck, nicht ohne einen Seitenhieb gegen „Borkens Väter und Spitzenleute zu richten, die oft so gerne von dem fortschrittlichen Borken reden“, in Wirklichkeit aber denken könnten: „… Was braucht das Volk zu baden, wenn es gesund ist, wir haben ja unsere vorzügliche, sogar beheizbare Badevorrichtung zu Hause.“
Als im März die 1897 die „Sanitätsrath Ebbing’schen Besitzungen“ Eigentum der Stadt wurden, artikulierte das Wochenblatt den Wunsch des Leserbriefschreibers erneut: „Hoffentlich kommt bald die so sehr nöthige städtische Badeanstalt.“ Damit hatte sich das Wochenblatt die Einrichtung einer Badeanstalt „auf die Fahne geschrieben“. Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ kam es während der folgenden zwei Jahre in Artikeln immer wieder auf das Thema zu sprechen.
Probleme mit dem „wilden Baden”. Eine Meldung im Borkener Wochenblatt vom 13. August 1898.
Weil das ‚wilde’ Baden an verschiedenen Stellen der Aa den besorgten Sittenwächtern nach wie vor ein Dorn im Auge war, kam die Angelegenheit „Badeanstalt“ schließlich ins Rollen. Doch sie brauchte Zeit: Erst zwei Jahre später, am 1. Juli 1899, konnte am damaligen Zusammenfluss von Aa und Maibach eine städtische Flussbadeanstalt eröffnet werden. Von ihrem Äußeren her jedoch war es eher ein „Provisorium“, d.h. nur mit einfachsten Mitteln und für bescheidene Ansprüche gebaut.
Das Wochenblatt konnte mit dem Erreichten zufrieden sein und sich angesichts des regen Besucherstromes in seiner schon früh geäußerten Meinung bestätigt sehen. Zugleich aber mahnte es, kaum dass der Badebetrieb gestartet war, schon Verbesserungen an. Diese sollten u.a. die Vermehrung der Badezellen betreffen, um das gleichzeitige Baden von Männern und Frauen zu ermöglichen, selbstverständlich in angemessenem Abstand.
Die Stadtverordnetenversammlung reagierte und beschloss im April 1900 den Bau weiterer Badezellen „von der bisherigen Anstalt getrennt, vorne am Sengelgraben“, d.h. zwischen dem heutigen Weg „Am Sengelgraben“ und dem Zufluss der Wasserstiege. Während man das Provisorium anschließend aus den Augen verlor und schließlich abbrach, wurde der Erweiterungsbau von der Bevölkerung eifrig genutzt. Zeitgenössische Fotografen wählten ihn darüber hinaus vereinzelt als Motiv für Postkarten.
Wie kleinere Inserate zeigen, bestand die Flussbadanstalt in der Aa noch in den frühen 1920-er Jahren. Die Berichterstattung in der Borkener Zeitung (BZ) jedoch wurde spärlicher. Am 5. August 1925 hieß es schließlich: „Die alte Flussbadeanstalt ist 1924 an Greisenschwäche gestorben“.
Am südlichen Ende des heutigen Parkgeländes entstand während der 1920-er Jahre eine neue Bade- und Schwimmanstalt, deren Bau im Oktober 1924 beschlossen wurde. Bei den Bauarbeiten stieß man überraschend auf Fließsand, sodass der Beckenboden eine zehn Zentimeter dicke Betonplatte erhalten musste. Doch obwohl zu befürchten war, dass der Moorboden den Beton in einigen Jahren zerfressen haben würde, hielten die Stadtverordneten nach dem Ortstermin mit einem Sachverständigen am Beschluss zur Betonierung fest; gleichzeitig bewilligten sie die dafür erforderlichen zusätzlichen Geldmittel.
Obwohl die gesamte Anlage noch nicht endgültig fertiggestellt war, konnte das 50 x 20 Meter große und in drei Tiefenstufen gegliederte Schwimmbecken schon im August 1925 genutzt werden. Der Maibach lieferte das Wasser, das durch zwei Koksfilter gereinigt wurde. Der schlüpfrige Moorgrund war vor der Fundamentierung kreuz und quer mit Drainagerohren durchzogen worden, um das aufquellende Grundwasser wegzuleiten in einen bis auf drei Meter sackenden Schacht an der Nordmauer.
Im darauf folgenden Jahr schließlich konnten die Borkener die neue Bade- und Schwimmanstalt – nicht zuletzt auch dank moderater Eintrittspreise – voll genießen. Eine blau-weiße oder eine rot-weiße Fahne machten weithin sichtbar, ob Badezeit für männliche oder weibliche Personen war. Die Borkener Zeitung begleitete die Badesaison 1926 mit einer Reihe von Artikeln, in denen sie euphorisch Veränderungen und Verschönerungen des Bades beschrieb oder über sportliche Veranstaltungen berichtete:
Die Badeanstalt litt schon früh unter dem moorigen Untergrund. Die Moorsäure ließ das Fundament undicht werden und drang durch feine Risse im Boden in das Bassin ein. Damit hatten sich die Warnungen aus dem Jahr 1924 als berechtigt erwiesen. Es gab Schuldzuweisungen, doch blieb den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als sich den Problemen zu stellen, d.h. regelmäßig für eine gründliche Reinigung zu sorgen, was die Schäden aber nie behob. So waren die Treppen Jahr für Jahr schon kurz nach dem Beginn der Badesaison glitschig.
Während der Kriegsjahre verfiel die Badeanstalt mehr und mehr. 1946 wurde sie zunächst von den englischen Besatzungstruppen beschlagnahmt, dann aber – nach der Freigabe für alle Borkener – schlecht gewartet, so dass die Schäden immer eklatanter wurden. Versuche, das Schwimmbecken zwecks Ausbesserungs- und Reinigungsarbeiten trocken zu legen, brachten keinen dauerhaften Erfolg. Es liege an der Moorsäure, hieß es am 17. August 1948 klipp und klar in einem Artikel der Borkener Zeitung. Sie dringe trotz aller Maßnahmen immer wieder durch die festen Wände, so dass eine „Klarhaltung des Wassers“ unmöglich sei. „Dat heff keen Art. Dat hölt nich vöör“, wurde ein Zeuge des Geschehens zitiert. Und der Redakteur prophezeite abschließend: „Eine Weile muß sich Borken mit einer Badeanstalt a.D. abfinden. Denn für die erforderlichen Umbauten fehlen der Stadt jetzt die Mittel. Die sind nach der Währungsreform z.D. (zum Deubel).“
Zum Jahresende 1953 beauftragte der Rat die Verwaltung, für den Bau eines Schwimmbades im Trier die Planung und die Finanzierung vorzubereiten. Als am 30. Juni 1956 das neue Parkschwimmbad eröffnet wurde – „ein Meisterstück an Entwurf, Gestaltung und Ausführung, fürwahr: Westfalens schönstes Freibad“ (Helmuth Müller in der BZ vom 30.06.1956), waren die Tage der Flussbadeanstalt am Maibach längst gezählt. Besser konnte es für Borken nicht kommen.
Rudolf Koormann (2017)
Blick auf die erste Flussbadeanstalt an der Aa. Links im Vordergrund befinden sich die weißen Umkleidegebäude. (Bild: Sammlung Ewald Grewing).
Platz für viele Badegäste bot die neue Anlage nicht, und die Wassertiefe reichte kaum aus, um zu schwimmen zu können oder schwimmen zu lernen. (Bild: privat).
Blick von der neuen Badeanstalt über den Volksgarten hinweg auf die von Bäumen verdeckte Silhouette der Stadt. (Bild: Sammlung Ewald Grewing).
Blick aus der Luft auf die Badeanstalt, die der Maibach in einem natürlichen Bogen umfloss. Anfang und Ende dieses Bogens hatte man durch einen künstlichen Graben miteinander verbunden. Am rechten Bildrand das Gelände des späteren Sportplatzes. (Bild: Unsere Heimat im Luftbild, S. 61).
Blick über das Schwimmbecken auf den Umkleidebereich. Im Hintergrund links die von Bäumen gesäumte Raesfelder Straße. (Bild: Sammlung Ewald Grewing).
Zum Ende der mehr als viermonatigen Badesaison 1926 meldete die Zeitung, dass ca. 5.000 Schüler und Schülerinnen die Badeanstalt besucht hätten. 8.969 Einzelkarten seien verkauft worden, 129 Zehnerkarten und 38 Dauerkarten. 13 Mal sei ein Schwimmkursus belegt worden, und 157 Personen hätten die neu aufgestellte Personenwaage benutzt (BZ vom 19. September 1926). (Bild: Unser Borken, S. 96).
Blick auf das 1956 eröffnete Parkschwimmbad im Trier. Oben rechts das Gelände der ehemaligen Bleiche am Maibach/Döringbach. (Bild: Sammlung Ewald Grewing).